Gute Nachrichten für Cyberchonder

Seit einigen Monaten testet Google die Integration von Gesundheitsinformationen in seinem Knowledge Graph. Profitieren dürften davon die Nutzer, benachteiligt werden Betreiber medizinischer Angebote.

Adrienne Fichter
Drucken
Wer sich über eine Krankheit informieren möchte, erhält künftig alle relevanten Gesundheitsinformationen kompakt in einem Kasten serviert. (Bild: Google)

Wer sich über eine Krankheit informieren möchte, erhält künftig alle relevanten Gesundheitsinformationen kompakt in einem Kasten serviert. (Bild: Google)

Seit einigen Monaten bietet Google in seinem Angebot «Knowledge Graph» umfassende Informationen bei Gesundheitsfragen an. Wer im Testmarkt USA in der Suchmaschine nach allgemeinen gesundheitlichen Beschwerden oder Symptomen sucht, erhält die wesentlichen Informationen zu einer Krankheit kompakt in einem gesonderten Kasten zusammengefasst. Die generierten Informationen werden dabei nicht nach dem Pagerank-Verfahren, sondern laut Google von medizinischen Experten und Forschungsinstituten kuratiert.

Schwerpunkt liegt auf der Diagnostik

Der sensible Bereich Gesundheit werde bewusst von den üblichen Relevanzkriterien ausgeklammert, sagte Jens Redmer, verantwortlich für New Products und Solutions bei Google, kürzlich an der Digitalkonferenz re:publica während einer Session zum Thema. Die Statistik über die täglichen Anfragen verdeutlichen das grosse Bedürfnis nach adäquater Gesundheitsinformation: Eine von 20 Sucheingaben betreffe Aspekte rund um das Thema Gesundheit. 38 Prozent seien mit den Suchresultaten der ersten Seite zufrieden, erklärte Redmer.

Der Suchmaschinist schöpft bei Prognosen zu Krankheitsbildern aus seinem umfassenden Datenschatz: Epidemien können dank der grossen Datenmenge akkurater prognostiziert werden. Werde beispielsweise in einem Ort oftmals der Begriff Grippe gegoogelt, könnten die Datenanalysten zeitlich versetzt die geographische Ausbreitung des Virus nach drei Wochen antizipieren und diese Erkenntnisse in den Graphen einfliessen lassen. Randbemerkung: Die Euphorie unter medizinischen Forschern zum Paradebeispiel von Big Data hat sich mittlerweile gelegt. Die von Redmer angesprochenen«Google Flu Trends» hatten in der Vergangenheit manche Grippewellen deutlich überschätzt oder andere Epidemien wie die Schweinegrippe hingegen verpasst.

Die Suchergebnisse des Graphen ersetzten jedoch nicht die medizinische Anamnese, sondern dienten lediglich als Erstinformation mit Schwerpunkt Diagnostik, schreibt Google im offiziellen Blogpost. Die Beantwortung von Gesundheitsfragen substituiere natürlich keinen ärztlichen Rat, betonte auch Redmer während des Panels.

Interpretation des Graphs könnte Suchende überfordern

Der zweite Diskussionsteilnehmer des Panels, der Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Klaus Koch, zweifelte an der Qualität des Knowledge Graph. Trotz des Informationsmehrwerts werde der Nutzer mit der Kurzrecherche alleine gelassen, sagte er. Sämtliche Behandlungsarten fehlten in der Liste und könnten den Suchenden überfordern, was sich im Endeffekt sogar kontraproduktiv auswirkt. Doch Google hat in der Zwischenzeit neu eine Therapie-Sektion eingeführt.

Auch hinterfragte Koch die maschinelle Priorisierung bei der Bewertung von gesundheitsrelevanten Informationen. Dem hielt Redmer entgegen, dass der Algorithmus ständig von Gesundheitsexperten weiterentwickelt und bei der Gewichtung von Daten immer intelligenter werde.

Analog zum laufenden EU-Gerichtsverfahren gegen Google drängen sich beim Knowledge Graph ähnliche Fragen zum Informationswettbewerb auf. Der Graph listet ausgewählte Links für die weitere Suche nach vertieftem Gesundheitswissen auf. Die Bevorteilung und Selektion einiger Informationsquellen wird insbesondere die Mehrheit ignorierter medizinischer Angebote verärgern.

Wissensmonopolist Google straft externe Links ab

Der Knowledge Graph dürfte ausserdem zu einem allgemeinen Traffic-Rückgang von externen Links führen. Mit einem umfassenden Wissenskasten werden die Informationsbedürfnisse des Suchenden schnell befriedigt. Zum Vergleich: Seit Einführung des Knowledge Graph, der sich wesentlich aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia speist, haben Zugriffe auf die Website Wikipedia.com um 24 Prozent abgenommen.

Google möchte jedoch um jeden Preis den Eindruck verhindern, ein Monopol zu Gesundheitsfragen aufbauen zu wollen. Redmer sagte sogar, der mit dem Graphen vertraute Nutzer werde sich «erst recht» besser informieren wollen. Daraus soll die Zahl der Zugriffe auf Websites gar erhöht werden, postulierte der Produktverantwortliche von Google.

Effektiv düstere Aussichten gibt es für Anbieter ohne kommerzielle Ressourcen für die Suchmaschinenoptimierung. SEO-Experten raten Marketingverantwortlichen von medizinischen Angeboten, Websites mit Schema Markup-Elementen um gesundheitsrelevante Keywords anzureichern.

Nur mit kostspieliger Werbung noch wahrgenommen

Technologie-Blogs wie Techcrunch.com sind sich ausserdem einig, dass nur noch die ersten drei best placierten Werbeanzeigen gegen den dominanten Knowledge-Graph aufmerksamkeitsökonomisch bestehen werden. Dieses Schreckensszenario ist auf mobilen Geräten bereits eingetroffen. Neben der ersten Werbeanzeige ist der Graph prominent placiert.

Der Knowledge Graph zu Gesundheitsthemen wird auf dem Smartphone einen dominanten Platz einnehmen. Nur noch bezahlte Werbeanzeigen können im harten Informationswettbewerb um die ersten Suchergebnisse bestehen. (Bild: Google)

Der Knowledge Graph zu Gesundheitsthemen wird auf dem Smartphone einen dominanten Platz einnehmen. Nur noch bezahlte Werbeanzeigen können im harten Informationswettbewerb um die ersten Suchergebnisse bestehen. (Bild: Google)

Auch sind Überlegungen zur Monetarisierung des neuen Produkts im Gang: Google hat drei Werbeplätze zu vergeben innerhalb des Graphs. Es wird interessant zu beobachten sein, nach welchen Kriterien Kunden bei der Bewerbung um die neuen Product Listing Ads im Gesundheitskontext den Vorzug gegeben wird: Gilt dabei das übliche Auktionssystem von AdWords oder sind die Prinzipien evidenzbasierter medizinischer Forschung vorrangig? Das von Google neu aufgeschlagene Kapitel zur Gesundheitsinformation wird in Zukunft noch einigen Diskussionsstoff liefern.